Warum digitaler Unterricht?


Die Digitalisierung der Schule wird unter dem Stichwort “Schule 4.0” wird zur Zeit von fast allen europäischen Regierungen, nicht zuletzt der deutschen und österreichischen, stark forciert. Bisher haben sich Schulen in Mitteleuropa gegenüber denen in den USA oder selbst in Großbritannien sehr zurückhaltend gezeigt. Dies hat viele und vielschichtige Gründe, von der Infrastruktur, bis hin zur Unterrichtsorganisation. Im UK und den USA hat z.B. jede Lehrperson ihren eigenen Raum, im Gegensatz zu Deutschland und Österreich, wo jede Klasse ihren eigenen Raum hat. Diese Tatsache allein macht digitalen Unterricht hierzulande schon viel schwieriger, da man in jeder Klasse mit anderen Geräten konfrontiert ist, die darüber hinaus nicht unbedingt immer zuverlässig funktionieren. 

Abgesehen davon gibt es zahlreiche Gegner der Digitalisierung innerhalb und außerhalb der Schulen, die es nicht schwer haben Argumente gegen die Digitalisierung hervorzubringen: Jugendliche verwenden digitale Geräte ohnehin viel zu viel; Googlen, Google Translate, YouTube und co. verblöden die Schüler/innen; es gibt zahlreiche Probleme von unzuverlässiger Infrastruktur bis hin zum Ablenkung-Potential von Smartphones, Tablets und co. Darüber hinaus belegen zahlreiche Studien, unter anderem auch die berühmte Hattie-Studie, dass digitale Medien nicht unbedingt einen besseren Lernerfolg bringen. 

Ohne diese Argumente leichtfertig abtun zu wollen, bin ich persönlich davon überzeugt, dass die Nicht-Digitalisierung der Schule das weitaus größere Übel ist. Wenn Jugendliche digitale Medien nur für seichte Unterhaltung benutzen, die sie vom Lernen abhält, warum sollte man ihnen nicht beibringen diese auch für ihre Weiterbildung zu nutzen. Wer diesen Schritt schafft wird am Arbeitsmarkt klar im Vorteil sein. Dort wo der Übergang nicht gelingt besteht die Gefahr des “digital divide”. Das Motto in Schulen sollten statt “race against the machines” viel eher “race with the machines” sein und das riesige Potential des Internets, von Smartphones und co. sollte genutzt statt verboten werden. 

Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass jede Umstellung Zeit und Produktivität kostet. Es darf daher also auch nicht allzu verwundern, dass erste Versuche mit digitalen Medien zumeist nicht die gewünschten Erfolge in Form von Testergebnissen bringen, da sie viel Lernbereitschaft seitens des Lehrkörpers, als auch seitens der Schüler/innen erfordert und oft einfach ein Trial und Error Lernen ist.

Lehr- und Lerngewohnheiten ändern sich nicht über Nacht. Wie alle Gewohnheiten benötigen sie Zeit um sich zu ändern. Am wenigsten Fruchten digitale Neuerungen meiner Erfahrung nach bei älteren Schülern, die in ihren Lerngewohnheiten gefestigt sind und oft nur noch die die letzte Klasse absolvieren möchten. Am meisten Effekt haben sie bei den jüngeren Schülern, von denen sie oft begeistert aufgenommen werden.  

Die Tatsache, dass auch digitales Lernen gewöhnungsbedürftig ist erklärt meines Erachtens, sowohl warum viele eLearning Trends, von Learning Management Systemen, digitalen Portfolios, MOOCs, 360 Grad Mobile Learning bis hin zum derzeit gerühmten Flipped Classroom rasch nach dem Hype enden und vergessen werden.In seltenen Fällen etablieren sie sich aber an Schulen und werden dort zu einem selbstverständlichen Teil des Unterrichts. 

Viel häufiger jedoch erweist sich Schule jedoch als resistent gegenüber Veränderungen. Dies ist etwas paradox, da Schulen ja Stätten des Lernens sein sollen und als Institution selbst wenig Lernfähigkeit zeigen. Der Hauptgrund dafür ist wohl, dass das Altbewährte eben genau das ist was es ist: es funktioniert, es gibt keine Probleme, es ist vorhersehbar und es benötigt den geringsten Aufwand. Sobald man bei Neuem auf Schwierigkeiten stößt gibt man auf.  Es fehlt der “grit” (Biss), um es mit einem gängigen englischen psychologischen Terminus auszudrücken. Als Lehrer/innen wollen wir nicht dass unsere Schüler/innen so reagieren - wir sollten es auch nicht wollen, dass Schule als Institution das tut. 

In der Schule mögen viele Sachen ja noch “analog” bzw. nicht-digital funktionieren, außerhalb der Schule tun sie das nicht mehr. Ein Manager z.B. würde sich wohl sehr wundern wenn ein neuer Angestellter eine Präsentation mit einem handgezeichneten Plakat hält, oder wenn dieser einen handgeschriebenen Bericht abgeben würde. Digitales Projektmanagement und Kollaboration in der Cloud würden er hingegen von diesem noch gar nicht erwarten da Schulen diesbezüglich leider ohnehin noch meilenweit entfernt sind. In diesem Sinne wäre es wünschenswert wenn die Schulen mit der privaten  Lebenswelt der Schüler/innen Schritt halten würde und sie zumindest teilweise auf ihre zukünftigen beruflichen Erfordernisse vorbereiten könnte.